Grünewald in Pommern |
Für unseren Vater war und blieb Grünewald, das Dorf, in dem er 1931 geboren wurde, immer seine Heimat. 1945 musste er mit den noch verbliebenen Familienmitgliedern flüchten. 3 Brüder waren im Krieg gefallen, einer nach Rußland verschleppt - Georg - er wurde erst 1948 aus der Gefangenschaft entlassen.
Trotzdem sehnte sich unser Vater danach, Grünewald wieder zu besuchen. Erste Reisen nach Polen waren bereits seit 1973 möglich. Da unser Vater Berufssoldat war, durfte er selbst erst einige Jahre nach seiner Pensionierung nach Grünewald reisen. Sein erster Besuch war 1987. Jedoch ließ er sich bereits seit den ersten Heimatreisen seines seit der Kindheit besten Freundes Horst Beduhn mit Berichten und Fotos versorgen. Viele weitere Heimatbesuche folgten, beinahe jährlich.
Auf der Heimatreise 1996 hat er zusammen mit Paul und Renate Trost sogar ein kleines Flugzeug gemietet, um über Grünewald zu fliegen und Luftbildaufnahmen zu machen. Das war ein abenteuerliches Unterfangen. Das Flugzeug war etwas klapprig, aber runtergekommen sind sie wieder ... Und sie haben faszinierende Aufnahmen mitgebracht.
Kurz nachdem er an den ersten Heimattreffen bei Horst Beilfuss teilnahm, fing er an, Kontakte zu ehemaligen Grünewaldern zu suchen. Er fand ihre Anschriften über verschiedenste Suchdienste, Heimatortkarteien usw. und schrieb alle Anfang 1993 an, sie mögen ihm für eine Chronik des Heimatdorfes Information zukommen lassen, damit dieses nicht in Vergessenheit geriete. Dazu schickte er ihnen eine mehrseitige Liste mit, was er alles wissen wollte. 1995 ließ er die daraus entstandene gut 230-seitige Chronik mittels Fotokopie drucken. Es kamen erfreulicherweise viele weitere Informationen zusammen, eine zweite (2007) und dritte Auflage (2012) wurde gedruckt.
Ursprünglich wollte unser Vater keine vierte Auflage der Chronik mehr zusammenstellen. Er hat sich aber überzeugen lassen, dass dieses wundervolle Buch, das bisher nur über Mundpropaganda verbreitet wurde, als richtiges, gebundenes Buch herausgebracht wird. Anfang 2018 kommt diese 4. Auflage jetzt mit weit über 400 Seiten heraus.
Jedes Jahr folgten weitere Aktionen. 1997 wurden von ihm erstmals die Heimatnachrichten verfasst, die seitdem jährlich nach den Grünewald-Treffen verschickt werden.
Bei Heimatbesuchen fiel auf, dass der Friedhof arg zugewachsen war, viele Kreuze waren umgekippt - also wurde im April 1998 eine große Aktion durchgeführt, wobei der Friedhof so gut es ging "auf Vordermann" gebracht wurde. Jedes Grab wurde katalogisiert, die Kreuze fotografiert, die Texte darauf niedergeschrieben, und 2006 entstand hieraus ein Bildband.
Ebenfalls 1998 folgte schon der Druck des nächsten Buches. Unser Vater wollte wissen, wie es den Dörflern nach 1945 auf der Flucht und bei der Vertreibung sowie in der Kriegsgefangenschaft ergangen war. Das hieraus entstandene Buch "Schicksalsjahre" umfasste bereits damals schon fast 250 Seiten, eine überarbeitete Auflage 2012 hat ebenfalls bereits über 400 Seiten.
Unermüdlich ging es weiter. Im Lauf der Zeit machte unser Vater dadurch Grünewald irgendwie auch zu unserer Heimat. Er erzählte uns viel, zeigte uns Fotos. Er hat nicht nur ehemalige Grünewalder und Burghofer animiert, die Heimat zu besuchen, dafür hat er ihnen Bilder, Informationen, Kontakte und vieles mehr gegeben.
Im Jahr 2000 hat er erstmalig seine ganze Familie - seine Geschwister, deren Kinder, Enkel - eingeladen, Grünewald gemeinsam mit ihm zu besuchen. Und dies blieb nicht das einzige Mal!
Dazu hat er einen Bus angemietet und ausführliche Planungen für die Tage in der alten Heimat gemacht. Jeder Mitreisende erhielt ein Heft mit Hintergrundinformationen zu den einzelnen Stationen der Reise sowie seinen persönlichen Stammbaum.
Unser Vater gab dem Busfahrer Anweisungen, irgendwo im Niemandsland abzubiegen und nach einiger Zeit anzuhalten. Genau dort begann ein kleiner Trampelpfad - und er führte uns mitten im Wald zum Bahndamm, fand mit uns das Kellergewölbe des ehemaligen Grünewalder Bahnhofes, fast so, als wäre der ganze Weg ausgeschildert gewesen und er erst gestern dort gewesen.
Weiter ging's über halb zugewachsene Wege. Er erzählte uns, wer wo gewohnt hatte, wo Wohnhaus, Stallungen und Scheunen standen. Dann zu dem Ort, wo er aufgewachsen ist, dem Hof seines Vaters, Reinhold Mielke und seiner Mutter Maria geb. Mallon. Dort fanden wir noch Mauerreste, große schöne Äpfel an einem uralten Baum, den gemauerten Backofen und einen versumpften Teich.
Die Grünewalder Kirche wurde besichtigt, extra für uns geöffnet, ebenso die Schule.
Lehrer und Bürgermeister von Mieszałki (Aussprache ähnlich "mischauwki"), wie Grünewald heute heißt, empfingen uns gemeinsam mit Schülern. Diese haben im Chor ein Lied einstudiert und vorgetragen, hatten zu seinen Ehren ein Bild gemacht, welches ihm feierlich übergeben wurde. Es gab reichlich Kuchen und Getränke, wir wurden mit offenen Armen empfangen. Nicht zu vergessen Elsbeth, die jederzeit für uns Grünewalder ein offenes Haus hat und Kuchen, wenn sie darum weiß, dass deutsch sprechender Besuch kommt.
Es wurden Grillfeiern mit polnischen Gästen in unserer Unterkunft, der "Alten Schule" in Gerfin gemacht. Irgendwie klappte die sehr rege Unterhaltung dank einiger ein wenig deutsch sprechender Polen und Elsbeth; alle kamen kaum raus aus dem Erzählen.
Weiter ging unser Weg. Die Friedhöfe wurden besucht, die Orte, in welche unser Vater in seiner Jugend kam, die Dörfer und Städte in der Umgebung. So lernten wir Grünewald und seine Umgebung bald besser kennen, als die Orte, in denen wir selbst aufgewachsen sind. Pommern, mit seinen sanften Hügeln, die ehemalige "Kornkammer Deutschlands".
Es gab immer wieder Neues zu entdecken. So fiel uns in einer kleinen Kapelle bei Schloß Podewils eine Tafel auf, auf welcher ein Franz Mielke vermerkt ist, der am 23.3.1918 gefallen ist. Ob das ein Verwandter war? - Es ist schön, so auf "Ahnensuche" zu gehen und die Gegend der Vorfahren zu bereisen. Die Heimatliebe unseres Vaters sprang auf uns über.
Er sammelte weiter Informationen, knüpfte Kontakte. Er beschäftigte sich mit Familienforschung und fand Verwandte in Amerika. Er hielt Vorträge über Ahnenforschung, über Grünewald, half Familienforschern mit Grünewalder Vorfahren. Die Krawatte mit dem pommerschen Adler war sein Markenzeichen. Als Dorfsprecher für Grünewald trug er sie bei jedem offiziellen Anlaß; die Pommernfahne war immer dabei.
Er engagierte sich auch stark für das Heimatmuseum des Kreises Neustettin in Eutin.
Beim Grünewaldtreffen 2014 lud er alle zu einer "Heimatarbeitstagung" ein, um auch andere in seine Arbeit einzuführen. Leider folgten nur sein Neffe und seine Kinder dem Aufruf. Er bereitete einen Ordner mit Unterlagen für uns vor, erklärte uns seine Arbeit, woher er Informationen bekam, wie er sie weiter gab (z.B. an die Pommernzeitung, an "Mein Neustettiner Land"). Er erklärte uns die verschiedenen pommerschen Organisationen, so u.a. den HKA (Heimatkreisausschuss) uns den NKV (Neustettiner Kreisverband e.V., Träger des Heimatmuseums). Er überlegte, wie und wo das Archiv aus mittlerweile zigtausenden von Dokumenten und Bildern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.
Bis zuletzt hatte unser Vater die Namen der noch lebenden Grünewalder, ebenfalls die dazugehörigen Geburtstage, im Kopf. Auch derer, die nicht mehr unter uns weilen und wußte genau, wo die Familien im Dorf gelebt hatten.
Er führte Excel-Tabellen, damit er möglichst jeden der vielen Freunde, Verwandten, Nachbarn, (pommerschen) Bekannten zu Weihnachten oder zu anderen Anlässen kontaktieren konnte. Anders war es gar nicht mehr möglich, die Übersicht zu behalten. Ständig in Kontakt mit Pommern, telefonisch, postalisch oder via E-Mail war er in seinem "Grünewald-Zimmer".
Er versuchte, bei jedem Gespräch Notizen zu machen und die erhaltenen Informationen zu sammeln und sorgfältig ins Archiv einzupflegen.
Wir möchten sein Werk weiterführen. Wer möchte sich uns noch anschließen?
Wir freuen uns also auch heute noch - und ganz besonders - wenn wir von euch, den ehemaligen Grünewaldern, deren Kindern und Enkeln, Nichten, Neffen und sonstigen Verwandten Begebenheiten von damals erzählt bekommen, noch besser niedergeschrieben, Bilder, Berichte und Dokumente (z.B. Zeugnisse, Verträge, Zeitungsausschnitte) erhalten und auch von kommenden Heimatreisen erfahren. Ihr habt doch gewiss noch interessante weitergehende Informationen, vielleicht auch über die ehemaligen Einwohner, und haucht ihnen damit ein wenig Leben ein. Dadurch leben alle in den Herzen der anderen weiter!
Gudrun Mielke - im Januar 2017